10 Oktober 2007

"Al Kaida reloaded"


"Von Web 2.0 zu War 2.0" - Politologe Georg Schöfbänker im derStandard.at - Interview über Authentizität und Zielgruppen der Osama-Videos

10.10.2007

(Dieses Interview erschien auch im on-line Standard)


Wien - Kurz vor dem sechsten Jahrestag der Terroranschläge in New York veröffentlichte die Al Kaida eine neue Videobotschaft von Osama Bin Laden. Während die US-Geheimdienste von der Echtheit der Aufnahme überzeugt sind, bezweifeln Kenner der Materie die Authentizität des Videos. Auch der Politologe Georg Schöfbänker hält es für möglich, dass an dem Video Manipulationen vorgenommen wurden. Im Interview beschreibt er außerdem unter anderem die Zielgruppen dieser Botschaften und die neue Kriegsform auf Basis des Web 2.0, derer sich die Terroristengruppe bedient.

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derStandard.at: Aus welchem Grund kommen gerade jetzt viele Videos der Al Kaida an die Öffentlichkeit?

Georg Schöfbänker: Die wichtigste Botschaft zum Jahrestag von 9/11 war grundsätzlich, dass sich Bin Laden anscheinend guter Gesundheit erfreut, dass er sich frei bewegen kann und in der Lage ist, solche Videobotschaften zu verbreiten. Es gab eine ganze Ansammlung solcher Nachrichten: neben der ersten vom 7. September, eine zweite Botschaft von Ayman al-Zawahiri, und dann eine weitere Audiobotschaft von Bin Laden, die gegen das pakistanische Regime von Musharraf gerichtet war. Diese Konzentration an Nachrichten ist einerseits an sich schon eine Botschaft – an die Öffentlichkeit, besonders die arababisch-islamische, dass der alte Führungskern der Al Kaida wieder intakt ist, funktioniert und ernstzunehmend ist sowie eine weitere Bedrohung darstellen wird. Das ist die zentrale Botschaft.

Das Lebenszeichen ist natürlich auch aufgrund des vermuteten Aufenthaltsortes von Bin Laden in Nordwestpakistan auch eine Provokation gegenüber den USA und Pakistan. Dass sie nicht in der Lage sind, diese Leute dingfest zu machen.

derStandard.at: Welche Zielgruppen sollen mit diesen Produktionen angesprochen werden? Das aktuelle Video beschäftigt sich ja ausgiebig mit theologischen Aspekten.
Schöfbänker: Das Video war an die Weltöffentlichkeit gerichtet, einerseits an den Westen, andererseits an die arabisch islamische Öffentlichkeit. Generell ist die gesamte Rede von einer Kapitalismus- und Globalisierungskritik durchsetzt, in die viele Elemente des europäischen Zeitgeistes subtil eingearbeitet wurden. Der theologische Aspekt ist hingegen nichts Neues, Bin Laden hat die Motivation für den Jihad immer schon aus dem Koran bezogen.
Den realpolitische Kern, der dahinter steckt, hat er hingegen bereits 1998 in einem CNN-Interview ganz öffentlich ausgesprochen: Er möchte, dass sich die Amerikaner aus den heiligen Stätten aus Saudi Arabien zurückziehen, dass sie die Unterstützung der korrupten Regimes auf der arabischen Halbinsel einstellen, und wenn sie das machen, dann ist sozusagen das politische Ziel erfüllt. Wenn nicht, dann werde man sich gegen die Amerikaner in ihrem Kernland wenden. Diese stetige Eskalation ist dokumentierbar und geht letztendlich auf den Afghanistankrieg der 1980er Jahre zurück, aus dem heraus die ganze jihadistische Weltbewegung entstanden ist.

derStandard.at: Wie schätzen Sie die Authentizität der Videos ein?

Schöfbänker: Darüber wird viel spekuliert. Ich bin mit nicht sicher, inwieweit Bin Ladens Rede im September tatsächlich authentisch ist und ob sie möglicherweise nicht doch nachbearbeitet wurde. Denn einige Punkte wurden diesbezüglich noch nicht diskutiert.

Erstens gibt es in dem aktuellen Video mit Osama Bin Laden einen gravierenden Fehler in seiner Analyse der US-Außenpolitik, wenn Bin Laden die Ermordung Kennedys zwar richtig datiert, aber meint, der US-Präsident sei im Wesentlichen ermordet worden, weil große Konzerne sein Agieren im Vietnamkrieg nicht gutgeheißen hätten. Entweder hatte Bin Laden schlechte Berater oder dieses Video wurde nachträglich manipuliert. Die offene US-Intervention in Vietnam hat ja erst 1965 begonnen, doch Bin Laden siedelt den Vietnamkrieg noch zu Lebzeiten von Kennedy an, der bekanntlich bereits im November 1963 ermordet wurde. Außerdem behauptet er, dass Donald Rumsfeld damals bereits als Kriegsverbrecher involviert gewesen sei. Das ist ein völliger Unsinn.

Dann gibt es einen weiteren pikanten Inhalt: Bin Laden zitiert Michael Scheuer, den ehemaligen Leiter der CIA-Aufklärungsabteilung für islamistischen Terror. Er hat vor ca. zweieinhalb Jahren aufgrund seiner Verzweiflung der US-Außenpolitik gegenüber Bin Laden diesen Posten aufgegeben. Und Bin Laden zitiert Scheuers Buch und meint, wenn ihn die Amerikaner verstehen wollen, sollen sie dieses Buch lesen. Das entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, denn Scheuers Buch ist eine der besten Analysen vor allem zur Genese des Konfliktes und einer der besten Quellensammlungen für die vorangegangenen Äußerungen des Kerns der Al Kaida. Ein weiterer Aspekt, der in der gesamten Diskussion zu wenig beleuchtet wurde.

derStandard.at: Wer könnte ein Interesse an Nachbearbeitungen haben?

Schöfbänker: Zum Beispiel könnte man den Effekt erzielen wollen wollen, dass man in Bezug auf historisches Wissen Bin Laden inkompetent erscheinen lässt. Dass er nicht mal das kleine Einmaleins der amerikanischen Geschichte kennt.

derStandard.at: Warum ist Bin Ladens Bart auf dem aktuellen Video vom 7. September abwechselnd schwarz und weiß?

Schöfbänker: Ob Bin Ladens Bart bei der Aufnahme schwarz gefärbt war oder ob er digital nachbearbeitet wurde, ist aus der Distanz schwer festzustellen. Ich halte beides für denkbar. Fest steht, dass die früheren Videos an arabische Sender, wie Al Arabia oder Al Jazeera, gingen und von dort ausgestrahlt wurden. Das schließt eine digitale Nachbereitung aus. Aber bei den Videos auf speziellen Websites wie die CIA-nahe lauramansfield.com, ist nicht klar, wie dort mit dem Material umgegangen wird.

derStandard.at: Wäre Al Kaida auch dann so stark, wenn die Videos medial weniger stark rezipiert würden?

Schöfbänker: In diesem Zusammenhang ist es wichtig, auszuholen. Wir wissen, wenn man auf politische Inhalte rekurriert, gibt es immer das Dilemma: des einen Terroristen ist des anderen Freiheitskämpfer. Zumal es keine völkerrechtlich verbindende Definitionen von Terrorismus und keinen politischen Konsens, was man als Terrorismus bezeichnen könnte, gibt. Im Unterschied zum akademischen Konsens, der, frei nach Schmidt, Terrorismus als eine Angst einflößende Sozialtechnik wiederholter Gewalttätigkeit aus speziellen kriminellen oder politischen Motiven von individuellen, nicht-staatlichen, sub-staatlichen oder staatlichen Akteuren beschreibt.

Die menschlichen Opfer solcher Anschläge sind entweder zufällig oder ausgesucht, als Repräsentanten oder Symbole der eigentlichen Ziele. Sie sollen in der Zielöffentlichkeit als Überträger einer Botschaft fungieren. Es handelt sich somit um einen auf Bedrohung und Gewalt basierenden Kommunikationsprozess zwischen einer terroristischen Organisation und potentiell gefährdeten Opfern, um die eigentliche Zielgruppe in einen Status von Entsetzen, Lähmung oder in jenen für die Aufmerksamkeit und Forderung für genau solche politische Ziele zu versetzen.
Dieser Kommunikationsprozess findet in einer mittlerweile globalen Öffentlichkeit statt. Das ist das absolut Entscheidende. Ganz egal wie stark oder schwach Al Kaida in Zukunft sein wird, denn sie wird grundsätzlich immer zu schwach sein, um den Westen als eine symmetrische Gewalt gegenüberzutreten. Auf der anderen Seite ist aber auch der Westen nicht in der Lage, in jenen Gebieten, wo sich die Jihadisten ernsthaft festgesetzt haben, irgendeinen Fortschritt zu erzielen. Es gibt eine Pattsituation. Und das hat die Führungsetage der Al Kaida sehr wohl verstanden. Aus dieser Pattsituation heraus versucht sie jetzt zumindest auf der Kommunikationsebene eine neue Stärke zu entwickeln.

Gleichzeitig ist dieser Kommunikationsprozess nicht nur an eine Weltöffentlichkeit gerichtet, vielmehr handelt es sich gegenüber der eigenen Öffentlichkeit auch um ein internes Rekrutierungsinstrument - um ein Medium, das Sozialkontakte auf der Basis des Web transformiert oder dieses Sozialkontakte erst dadurch herstellt. Von Web 2.0 zu War 2.0, das ist historisch neu.

derStandard.at: Demnach zielen die Videobotschaften nicht auf Menschen ab, die weder zu Internet noch zu Fernsehen Zugang haben?

Schöfbänker: Zumindest das Fernsehen ist bereits im vorletzten afghanischen Dorf angekommen, es genügt ein Gerät, und alle wissen, was los ist. Und auch das Internet macht vor der Peripherie nicht länger halt.

derStandard.at: Haben sich die Videos der Al Kaida in den vergangenen sechs Jahren geändert? Fand eine Professionalisierung statt?

Schöfbänker: Ja, absolut. Es gibt mehrere Mediengruppen, die sich für spezielle Themen der Jihadisten einsetzen, und es gibt eigene Medienberater die zum Beispiel im Irak oder für die Salafisten in Algerien tätig sind. Ferner erfolgt die Verbreitung seit ca. zwei, drei Jahren vermehrt über das Internet. Durch diesen Distributionskanal ergibt sich ein Schneeballeffekt: die Botschaften pflanzen sich sehr schnell fort. Allerdings wird dadurch keine globale Medienmacht zementiert.

derStandard.at: Wieviel islamistische Propaganda gibt es im Internet, die es nicht in die mediale Öffentlichkeit des Westens schafft?

Schöfbänker: Videos, die man in den westlichen Ländern mitbekommt, wie durch lauramansfield.com oder counterterrorismblog.org, sind nur die Spitze des Eisberges. Weltweit gibt es rund 3.000 islamistische Websites, die nicht zu überschauen oder zu kontrollieren sind.

derStandard.at: Inwieweit unterscheiden sich jene von den Videos mit Osama Bin Laden und der Al Kaida?

Schöfbänker: Sie werden für eine regionale Öffentlichkeit, zum Beispiel in Algerien, auf den Philippinen oder in Indonesien, produziert, haben jedoch Andockmodule an die globale jihadistische Medienbewegung. Aber auch in diesem Zusammenhang sind zwei verschiedene politische Motive zu unterschieden: vom Kern der Al Kaida seit den späten 1980ern immer wieder den Abzug der Amerikaner aus der Einflusssphäre des islamisch-arabischen Raums gefordert. Das ist das realpolitische Ziel. Das utopisch wahnsinnige Ziel ist hingegen die Errichtung eines Kalifates. Und das ist auch die Klammer, bei der sich die Ideologen wieder treffen.

Dieses Kalifatdenken, wie in der aktuellen Botschaft von Al Zawahiri beispielsweise, man möge die Franzosen und Spanier aus Nordafrika vertreiben und Andalusien wieder zurückerobern, ist natürlich ein Hirngespinst. Dazu reicht die Macht der Islamisten und Jihadisten nicht im Geringsten aus. Aber auf der anderen Seite scheint es doch ein großes ideologisches Movens zu sein, mit dem sich die eigene Öffentlichkeit mobilisieren lässt. Und wenn man bei einer Anzahl von 1,3 Milliarden Muslimen nur ein Hunderttausendstel mobilisieren kann, birgt das Sprengkraft genug, die uns die nächsten Jahrzehnte in Atem halten wird. (Christa Hager, derStandard.at, 26.September 2007)

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