19 Juli 2005

Ausweitung der Kampfzone

Suche nach Erklärungen: Wie "entstehen" Selbstmordattentäter? - Ein Kommentar der anderen von Georg Schöfbänker

(DER STANDARD, Printausgabe, 19.7.2005)

Statistiken zufolge stammt die Mehrzahl der Terroristen aus Ländern mit amerikanischer Truppenpräsenz oder aus Staaten mit US-freundlichem Regime. Der globale "Krieg gegen den Terror" erweist sich zunehmend als globaler Brandbeschleuniger.

Rückblende: Nach der Invasion der Sowjetunion in Afghanistan begann die größte verdeckte militärische Geheimoperation der Geschichte. Mithilfe der CIA, der Saudis und der Pakistanis wurden junge Afghanen in Koranschulen fanatisiert und dann für den Kampf gegen die Sowjetunion ausgebildet. Das Resultat war die Niederlage und die Demütigung einer Supermacht. Sowie "arbeitslose" Djihadisten. Der Kampf dauerte zehn Jahre.

Wer in solchen Dimensionen denkt, für den war 9/11 erst der Beginn einer strategisch geplanten Kampagne zur Vertreibung der USA von der arabischen Halbinsel, eine Forderung, die von Bin Laden schon 1990 zu vernehmen war. 1996 schließlich ließ er mit einer Stellungnahme aufhorchen, in der er prognostizierte, dass die USA den Irak früher oder später angreifen würden. Was dann ja auch – auf der Grundlage eines frei erfundenen Bedrohungsszenarios – geschah.

Der US-Politikwissenschafter Robert Pape hat in seinem jüngsten Buch "Dying to Win: The Strategic Logic of Suicide Terrorism" durch eine Auswertung nahezu aller Daten von Selbstmordanschlägen seit 1980 schlüssig gezeigt, dass eine sehr hohe Korrelation zwischen der Nationalität der Attentäter und der Stationierung von US- Truppen im jeweiligen Herkunftsland der Terroristen besteht. Die überwiegende Anzahl von Selbstmordattentätern (außerhalb des Irak) seit 2002 ist saudischer Nationalität (so auch bei 9/11); oder die Täter stammten aus angrenzenden Ländern auf der arabischen Halbinsel; oder aus einem Land mit US-freundlichem Regime wie der Türkei, Ägypten, Pakistan, Indonesien oder Marokko – und eben nicht von jenen angeblichen staatlichen Terrorförderern, auf die immer wieder die Erklärungsmodelle des Weißen Hauses zielen: Iran, Libyen oder Sudan.

Selbstläufer

Seit Beginn des Irakkrieges 2003 hat sich die Zahl der Terroranschläge weltweit mindestens verdoppelt. Laut Rand Corporation sind allein zwischen März 2004 und März 2005 dem Terror 5362 Menschen zum Opfer gefallen; auch eine Statistik des US-Außenministerium konstatiert eine "starke Zunahme" des globalen Terrorismus. Der "globale Krieg gegen den Terror" der USA ist somit gescheitert. Lokal agierende und global denkende Djihadisten- Gruppen können sich im Westen überall selbstständig entwickeln, wo es ein Umfeld gibt, in dem sie sich bewegen können. Das wird die terroristische Graswurzelbewegung der Zukunft sein.

Die täglichen Selbstmordanschläge im Irak zeigen, dass es keine Rekrutierungsprobleme gibt und der globale Djihad somit zum Selbstläufer geworden ist. Madrid und London waren vermutlich erst der Anfang einer Reihe von großen Anschlägen in Europa. Über die vereitelten wissen wir zu wenig.

Robert Pape zitiert übrigens ein vom norwegischen Geheimdienst sichergestelltes Planungspapier der Al-Kaida vom November 2003, in dem genau jene Strategie diskutiert wurde, die sich jetzt in Europa abzeichnet.

Michael Scheuer, vormals Leiter der CIA Abteilung für Al-Kaida und Autor von "Imperial Hubris: How the West is Losing the War on Terror" hat all dies kommen sehen und deshalb letztes Jahr seinen Job bei der CIA an den Nagel gehängt – aus Verzweiflung über die Uneinsichtigkeit der Bush- Regierung.

Der "globale Kampf gegen den Terror" der US-Regierung hat sich somit fast vier Jahre nach 9/11 auch als globaler Brandbeschleuniger erwiesen – ein Kampf, der militärisch nicht zu gewinnen ist: Hamid Karzai ist Bürgermeister von Kabul, aber nicht viel mehr. Die Nato sichert die Verkehrswege in Afghanistan, wodurch der Transport von Opium und Heroin nach Europa besser funktioniert. Pakistan ist ein "failing state" mit Nuklearwaffen und Ruhe- und Rückzugsraum von Djihadisten. Saudi- Arabien ist ein riesiges Problem, da seine Islamauslegung äußert fundamentalistisch ist und die Regierung Hassprediger toleriert bis fördert. Die Anzahl der "failing states" nimmt weltweit zu.

Und der Iran? Es ist nicht auszuschließen, dass die US- Regierung gegen Iran die nächste "Front" im "globalen Kampf gegen den Terror" wegen dessen Atomprogramm eröffnet. Pläne liegen schon in der Schublade ...
Die Operation Ajax der CIA unter der Eisenhower-Regierung 1953 war die erste ihrer Art, die ein Regime stürzte und ein anderes, wohlgesonnenes installierte (den Schah). Worum ging es damals? Um das iranische Ölgeschäft.

Es gibt zwar noch ein paar "kleine" PR-Probleme auf dem Weg dorthin. Aber damit hat man ja Erfahrung. Allerdings sollte klar sein, dass sich dann auch erstmals Iraner in die "djihadistische Internationale" einreihen werden.

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