Der Trend zur Missachtung
Oder: Warum ein Scheitern der Konferenz über den Atomwaffensperr-Vertrag in New York das globale Sicherheitsumfeld erheblich destabilisieren würde
Ein Kommentar der anderen von Georg Schöfbänker
(DER STANDARD, Printausgabe, 19.5.2005)
Der NPT (Non-Proliferation Treaty), auch "Atomwaffensperrvertrag" genannt, wurde 1995 unbefristet verlängert, wobei beschlossen wurde, alle fünf Jahre eine Überprüfungskonferenz zur Umsetzung seiner Vertragsziele abzuhalten, die da wären: Die Kernwaffenstaaten verpflichten sich in redlicher Absicht zur nuklearen Abrüstung, jedenfalls zu keiner weiteren nuklearen Aufrüstung, wofür die Nichtkernwaffenstaaten sich verpflichten, selbst keine Kernwaffen herzustellen oder herstellen zu wollen. Der NPT enthält die Bestimmung, diesen legitim binnen drei Monaten kündigen zu können, wenn "die höchsten Interessen" des Staates in Gefahr sind. Nordkorea hat davon bereits Gebrauch gemacht. Israel, Indien und Pakistan sind nie beigetreten. Der Iran könnte der nächste Austrittskandidat sein.
Die Situation ist also "explosiv" wie historisch lange nicht mehr. Die USA führten Krieg gegen den Irak, vorgeblich, um seine nicht existenten Massenvernichtungswaffen zu beseitigen. Der Iran betreibt ein Programm eines Optionserhaltes für Kernwaffen und steht auf der potenziellen Angriffsliste Israels und der USA, die noch in diesem Jahr die Zerstörung seiner nuklearer Kapazitäten wollen. Von Nordkorea kursieren Gerüchte über die Vorbereitung eines Kernwaffentests, der der Ambiguität seines Programmes ein Ende setzten würde.
Zumindest in Ostasien würde ein offener Kernwaffentest Nordkoreas das klassische Sicherheitsdilemma in der internationalen Politik - ein Staat rüstet, weil er sich bedroht fühlt, und andere folgen - auf hohem Niveau aktualisieren. Ob dies unmittelbar einen neuen regionalen Rüstungswettlauf zur Folge haben würde, sei dahingestellt, das NPT-Regime geriete dadurch jedoch immer näher an die Grenze der Lächerlichkeit.
Die beiden widersprüchlichen Vertragsziele der Nichtverbreitung und der Nuklearwaffenverfügung sind heute in der Post-9/11-Welt genauso schwierig zu versöhnen wie im Kalten Krieg.
Die etablierten Kernwaffenstaaten, allen voran die USA hegen den Verdacht, dass unter dem Deckmantel der zivilen Kernenergienutzung virtuelle Nuklearmächte heranreifen. IAEO-Chef ElBaradei sprach von 20 bis 30 solcher virtuellen Nuklearmächte, was den pessimistischen Prognosen der 70er-Jahre entspricht. Der entscheidende Unterschied der letzten dreißig Jahre liegt im Fortschritt der Informationstechnologie und der Existenz eines Schwarzmarktes für sensitive Nukleartechnologie und vielleicht auch für Spaltstoffe.
Going nuclear
Gerade wegen des US-Angriffs auf den Irak sehen manche Staaten ihre territoriale Integrität hinkünftig am besten durch eine nukleare Abschreckung gewährleistet. Nicht nur im Iran, auch in Ägypten und Saudi-Arabien wurde über ein "Going nuclear" nachgedacht, ebenso wie in Libyen, das auf Druck der USA sein rudimentäres Programm einstellte. Welche Rolle dabei Abdel Qadir Khan, der "Vater" der pakistanischen Nuklearwaffe und angeblicher Al-Kaida-Sympathisant wirklich spielte, ist auch für Fachleute schwer durchschaubar.
Erschwert wird das Procedere bei der Überprüfungskonferenz in New York somit durch folgende Faktoren: Seit dem Amtsantritt der Bush-Regierung 2001 zeichnet sich ein unaufhaltsamer Trend zur Missachtung zahlreicher Rüstungskontrollvereinbarungen der USA ab. Der Nuklearteststoppvertrag, unter Clinton unterzeichnet, aber nie ratifiziert, steht zur Disposition.
Die Wiederaufnahme von Nukleartests seitens der USA wird ernsthaft diskutiert und die Neuentwicklung von bunkerbrechenden Nuklearwaffen (Micro-Nukes) ist ein Liebkind des Pentagon. In den letzten Wochen wurde eine Überarbeitung der US-Nukleardoktrin JP-3.12 bekannt, der "Doctrine for Joint Nuclear Operations", woraus die Japan Times kürzlich zitierte.
Daraus leitet sich das militärische Co-Motiv der neokonservativen politischen Agenda der US-Regierung ab. Ist der politische Wille durch eine globale Dominanz der USA beschreibbar, so ist das militärische Korrelativ durch eine erwünschte ubiquitäre Angriffsfähigkeit definierbar (Global Attack Posture), die schon vor 9/11 von Militärkreisen ausgearbeitet wurde.
In jenem Entwurf der JP-3.12 ist offenbar davon die Rede, dass regionale Militärkommandanten einen präventiven Kernwaffeneinsatz anfordern können sollen, auf Verdacht und zur Zerstörung vermeintlicher Anlagen zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen. Dass John Bolton, einer der schärfsten Kritiker von Rüstungskontrolle, als UN-Botschafter nominiert wurde, ist letztlich nur ein symbolischer Ausdruck des allgemeinen Verständnisses von Rüstungskontrolle durch die Bush-Regierung.
Schließlich sind die Nuklearpotenziale Israels, Indiens und Pakistans bislang niemals Gegenstand von ernstzunehmenden regionalen Abrüstungsinitiativen gewesen und dem NPT fern geblieben. All dies muss nicht notwendigerweise bedeuten, dass das NPT-Regime gänzlich zum Scheitern verurteilt sein wird. Die primären "Stolpersteine" der Vertragstreue der Nichtkernwaffenstaaten werden nicht technischer, sondern politischer Natur sein - nämlich Testfälle bei der Beantwortung jener Frage, inwieweit eine Bedrohung des eigenen Staates durch ein Nuklearwaffenprogramm eher genutzt oder geschadet hat. Und wie das internationale Umfeld darauf reagierte.
Die Clinton-Regierung hatte 1995 eine politische "negative Sicherheitsgarantie" abgegeben: Nichtkernwaffenstaaten würden von den USA auch dann nicht nuklear angegriffen werden, wenn sie sich in einem Konflikt mit den USA befänden, vorausgesetzt, sie würden keine Massenvernichtungswaffen einsetzen. Davon ist seit Bush und 9/11 keine Rede mehr, vielmehr gilt das Gegenteil.
Paradoxe Antworten
Auch die "Fallstudie Irak" gibt eine äußerst paradoxe Antwort auf die Frage eines Sicherheitsgewinns oder -verlusts durch Kernwaffenerwerb. Ja, Nuklearinspektionen der IAEO und die UN-Sanktionen funktionieren. Ein vermeintliches Nuklearwaffenprogramm kann sich zwar real als "Seifenblase" entpuppen, aber doch innen- und regionalpolitisch als effektiv erweisen. Zuletzt lässt sich ein kaum oder nicht mehr existentes Nuklearprogramm (Irak nach '91) als massives diplomatisches Drohpotenzial nutzen. Bei den Fallstudien Nordkorea und Iran ist auch diese Möglichkeit zu bedenken. Die Physik lässt sich nicht überlisten und Naturgesetze nicht per Diplomatie außer Kraft setzen. Die Architekten des NPT gingen davon aus, es wäre möglich, das "gutartige zivile Atom" vom "bösartigen militärischen" zu trennen. Es war eine politische Utopie. Die Zukunftsaussichten im Hinblick auf die Konfliktherde im Nahen Osten und in Südostasien sind eher düster.
Ein Kommentar der anderen von Georg Schöfbänker
(DER STANDARD, Printausgabe, 19.5.2005)
Der NPT (Non-Proliferation Treaty), auch "Atomwaffensperrvertrag" genannt, wurde 1995 unbefristet verlängert, wobei beschlossen wurde, alle fünf Jahre eine Überprüfungskonferenz zur Umsetzung seiner Vertragsziele abzuhalten, die da wären: Die Kernwaffenstaaten verpflichten sich in redlicher Absicht zur nuklearen Abrüstung, jedenfalls zu keiner weiteren nuklearen Aufrüstung, wofür die Nichtkernwaffenstaaten sich verpflichten, selbst keine Kernwaffen herzustellen oder herstellen zu wollen. Der NPT enthält die Bestimmung, diesen legitim binnen drei Monaten kündigen zu können, wenn "die höchsten Interessen" des Staates in Gefahr sind. Nordkorea hat davon bereits Gebrauch gemacht. Israel, Indien und Pakistan sind nie beigetreten. Der Iran könnte der nächste Austrittskandidat sein.
Die Situation ist also "explosiv" wie historisch lange nicht mehr. Die USA führten Krieg gegen den Irak, vorgeblich, um seine nicht existenten Massenvernichtungswaffen zu beseitigen. Der Iran betreibt ein Programm eines Optionserhaltes für Kernwaffen und steht auf der potenziellen Angriffsliste Israels und der USA, die noch in diesem Jahr die Zerstörung seiner nuklearer Kapazitäten wollen. Von Nordkorea kursieren Gerüchte über die Vorbereitung eines Kernwaffentests, der der Ambiguität seines Programmes ein Ende setzten würde.
Zumindest in Ostasien würde ein offener Kernwaffentest Nordkoreas das klassische Sicherheitsdilemma in der internationalen Politik - ein Staat rüstet, weil er sich bedroht fühlt, und andere folgen - auf hohem Niveau aktualisieren. Ob dies unmittelbar einen neuen regionalen Rüstungswettlauf zur Folge haben würde, sei dahingestellt, das NPT-Regime geriete dadurch jedoch immer näher an die Grenze der Lächerlichkeit.
Die beiden widersprüchlichen Vertragsziele der Nichtverbreitung und der Nuklearwaffenverfügung sind heute in der Post-9/11-Welt genauso schwierig zu versöhnen wie im Kalten Krieg.
Die etablierten Kernwaffenstaaten, allen voran die USA hegen den Verdacht, dass unter dem Deckmantel der zivilen Kernenergienutzung virtuelle Nuklearmächte heranreifen. IAEO-Chef ElBaradei sprach von 20 bis 30 solcher virtuellen Nuklearmächte, was den pessimistischen Prognosen der 70er-Jahre entspricht. Der entscheidende Unterschied der letzten dreißig Jahre liegt im Fortschritt der Informationstechnologie und der Existenz eines Schwarzmarktes für sensitive Nukleartechnologie und vielleicht auch für Spaltstoffe.
Going nuclear
Gerade wegen des US-Angriffs auf den Irak sehen manche Staaten ihre territoriale Integrität hinkünftig am besten durch eine nukleare Abschreckung gewährleistet. Nicht nur im Iran, auch in Ägypten und Saudi-Arabien wurde über ein "Going nuclear" nachgedacht, ebenso wie in Libyen, das auf Druck der USA sein rudimentäres Programm einstellte. Welche Rolle dabei Abdel Qadir Khan, der "Vater" der pakistanischen Nuklearwaffe und angeblicher Al-Kaida-Sympathisant wirklich spielte, ist auch für Fachleute schwer durchschaubar.
Erschwert wird das Procedere bei der Überprüfungskonferenz in New York somit durch folgende Faktoren: Seit dem Amtsantritt der Bush-Regierung 2001 zeichnet sich ein unaufhaltsamer Trend zur Missachtung zahlreicher Rüstungskontrollvereinbarungen der USA ab. Der Nuklearteststoppvertrag, unter Clinton unterzeichnet, aber nie ratifiziert, steht zur Disposition.
Die Wiederaufnahme von Nukleartests seitens der USA wird ernsthaft diskutiert und die Neuentwicklung von bunkerbrechenden Nuklearwaffen (Micro-Nukes) ist ein Liebkind des Pentagon. In den letzten Wochen wurde eine Überarbeitung der US-Nukleardoktrin JP-3.12 bekannt, der "Doctrine for Joint Nuclear Operations", woraus die Japan Times kürzlich zitierte.
Daraus leitet sich das militärische Co-Motiv der neokonservativen politischen Agenda der US-Regierung ab. Ist der politische Wille durch eine globale Dominanz der USA beschreibbar, so ist das militärische Korrelativ durch eine erwünschte ubiquitäre Angriffsfähigkeit definierbar (Global Attack Posture), die schon vor 9/11 von Militärkreisen ausgearbeitet wurde.
In jenem Entwurf der JP-3.12 ist offenbar davon die Rede, dass regionale Militärkommandanten einen präventiven Kernwaffeneinsatz anfordern können sollen, auf Verdacht und zur Zerstörung vermeintlicher Anlagen zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen. Dass John Bolton, einer der schärfsten Kritiker von Rüstungskontrolle, als UN-Botschafter nominiert wurde, ist letztlich nur ein symbolischer Ausdruck des allgemeinen Verständnisses von Rüstungskontrolle durch die Bush-Regierung.
Schließlich sind die Nuklearpotenziale Israels, Indiens und Pakistans bislang niemals Gegenstand von ernstzunehmenden regionalen Abrüstungsinitiativen gewesen und dem NPT fern geblieben. All dies muss nicht notwendigerweise bedeuten, dass das NPT-Regime gänzlich zum Scheitern verurteilt sein wird. Die primären "Stolpersteine" der Vertragstreue der Nichtkernwaffenstaaten werden nicht technischer, sondern politischer Natur sein - nämlich Testfälle bei der Beantwortung jener Frage, inwieweit eine Bedrohung des eigenen Staates durch ein Nuklearwaffenprogramm eher genutzt oder geschadet hat. Und wie das internationale Umfeld darauf reagierte.
Die Clinton-Regierung hatte 1995 eine politische "negative Sicherheitsgarantie" abgegeben: Nichtkernwaffenstaaten würden von den USA auch dann nicht nuklear angegriffen werden, wenn sie sich in einem Konflikt mit den USA befänden, vorausgesetzt, sie würden keine Massenvernichtungswaffen einsetzen. Davon ist seit Bush und 9/11 keine Rede mehr, vielmehr gilt das Gegenteil.
Paradoxe Antworten
Auch die "Fallstudie Irak" gibt eine äußerst paradoxe Antwort auf die Frage eines Sicherheitsgewinns oder -verlusts durch Kernwaffenerwerb. Ja, Nuklearinspektionen der IAEO und die UN-Sanktionen funktionieren. Ein vermeintliches Nuklearwaffenprogramm kann sich zwar real als "Seifenblase" entpuppen, aber doch innen- und regionalpolitisch als effektiv erweisen. Zuletzt lässt sich ein kaum oder nicht mehr existentes Nuklearprogramm (Irak nach '91) als massives diplomatisches Drohpotenzial nutzen. Bei den Fallstudien Nordkorea und Iran ist auch diese Möglichkeit zu bedenken. Die Physik lässt sich nicht überlisten und Naturgesetze nicht per Diplomatie außer Kraft setzen. Die Architekten des NPT gingen davon aus, es wäre möglich, das "gutartige zivile Atom" vom "bösartigen militärischen" zu trennen. Es war eine politische Utopie. Die Zukunftsaussichten im Hinblick auf die Konfliktherde im Nahen Osten und in Südostasien sind eher düster.
Labels: NPT, Nukleare Abrüstung, Proliferation
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